Ines Miersch-Süß
Zur Person ...

Ines Miersch-Süß - Fachplanerin und Architektin

Museumsplanung.com verändert sich nach 20 Jahren.

Ines Miersch-Süß ist Architektin und hat seit 1997 über 60 Projekte begleitet. Sie wagt einen Ausblick auf das Museum im 21. Jahrhundert. Nach 20 Jahren geben 20 Fragen und Antworten Aufschluss zu dieser Veränderung.

 

DAS MUSEUM IM 21. JAHRHUNDERT

Rückblick auf 20 Jahre Museumsplanung
Ausblick ins nächste Jahrhundert

20 Jahre, 20 Fragen, 20 Antworten

20 Jahre Museumsplanung gehen zu Ende. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

Der radikale Bedarf nach Veränderung! Auf dem Gebiet der Museumsplanung findet seit einigen Jahren Entwicklung nicht mehr statt. Der gestaltende Impuls von außen für Erneuerung, also das, was Museumsplanung ausmacht, findet keinen Anker mehr in der Museumswelt.

Was ist der Grund dafür?

Wenn Impulse von außen nicht mehr gefragt sind, dann ruht das Museum in sich. Dieser Ruhende Zustand ist trügerisch. Er ist eher eine Art Starre vor einer gewaltigen Revolution. Will sagen: Das Museum wird sich im 21. Jahrhundert radikal verändern müssen. Es wird sich der Frage nach der ureigenen Aufgabe und Identität stellen und sich dann neu – hoffentlich – erfinden. Und dieser komplexe und wichtige Prozess kann nicht mehr von außen gelenkt werden.

Wie hat sich diese Starre bemerkbar gemacht, was waren die Indizien?

Deutlich wurde es für mich zum ersten Mal so richtig zum Zeitpunkt der Projektleitung für den Innenausbau des Humboldtforums. Ein solch forderndes Projekt macht klar, an welchem Punkt der Entwicklung Museen stehen.

Das Humboldtforum ist für die Museen eine große Herausforderung. Es fordert dazu heraus, ein neues Haus mit neuen Botschaften zu füllen, die außerhalb jedes kunsthistorischen Kontext stehen.

Wie und ob man Herausforderungen bewältigt, hängt davon ab, ob man zu Entwicklung bereit ist. Weil die Bereitschaft der Museen fehlte, über ihre eigenen Grenzen hinauszuwachsen und sich dem Thema Humboldtforum zu stellen, habe ich das Projekt verlassen.

Wie lange waren Sie für das Projekt Humboldtforum tätig?

Nur 2 Jahre. Ich begann im Sommer 2009 und verließ das Projekt zwei Jahre später im Sommer 2011.

Was hat Sie an der Projektaufgabe Humboldtforum gereizt?

Zum einen die Größe des Projektes. Mit 40.000 qm Innenraumfläche war dies nach dem Residenzschloss in Dresden, das ich von 1997 bis 1999 betreute, die zweitgrößte Fläche eines Museums, die ich im Zusammenhang betrachten konnte. Das gibt es nur bei den potentesten Museums-Schlossanlagen, die man in Europa an 10 Fingern abzählen kann.

Zum Anderen war es der Entwurf Franco Stellas. Ich gehöre und gehörte zu den ganz Wenigen, die in diesem Entwurf Potential für die Zukunft des wiederaufzubauenden Berliner Schlosses als Humboldtforum erkennen konnte.

Wie stellte sich dieses Potential für Sie dar?

Franco Stella stellte die festgesetzten Parameter des Projektes Humboldtforum mit der Wiederherstellung der historischen Außenfassade des Berliner Schlosses zu keinem Zeitpunkt in Frage.

Die Identität als Berliner Schloss von außen anzuerkennen ist ein starkes Statement für das Humboldtforum mitten in Berlin. Ein Neubau könnte es außen wie innen modern abbilden, aber nicht diese Identität verleihen, wie es das wiederaufgebaute Schloss vermag: Innen setzte Stella mit dem Kathedralartigen Eingang einen Akzent der Stille. Was für eine Ouvertüre beim Betreten eines solchen Forums der globalen Gesellschaft mit ihren Kulturen, ihrer Diversität, Ihres Miteinanders.

Sich einem solchen Thema durch Stille zu nähern, braucht Mut.

Heute befindet sich an dieser Stelle ein großer glasüberdachter Innenhof für Events. Sie meinen das braucht es nicht?

Nein. Nicht um jeden Preis. Mit dieser veränderten Entwurfsarchitektur verlor das Humboldtforum das Angebot von Seiten der Architektur sich dem Thema des Ortes auf einmalige Art und Weise zu nähern - eben durch eine Säulenhalle der Stille. Ein Motiv was man in allen Religionsbauten dieser Welt wiederfindet – eine Architektonische Geste, die durch ihre abstrakte Form spürbar macht, dass hier die Welt zu Hause ist. Die Aufgabe dieses Motives als Zugang ins Gebäude ist für mich ein echter Verlust.

Und die Museen darin, wie sind diese der Aufgabe begegnet?

Überhaupt nicht!

Bei einer solchen Aufgabe, ein Humboldtforum zu gestalten geht es nicht darum, wie etwas ausgestellt wird und ob das schön ist und geschmacklich unserer Zeit entspricht.

Bei einer solchen Aufgabe stellt sich zuallererst und ausschließlich die Frage, mit welchen Strukturen man dem Thema eine Identität geben will. Um es kurz zu machen: Hier wäre eine radikale Aufgabe, ein Bruch mit den vorhandenen Strukturen, den tradierten Museumseinheiten, das einzig Richtige gewesen.

Was konkret muss man sich darunter vorstellen?

Die Auflösung der Museen als getrennte Sammlungen und die Zusammenführung in eine neue Identität des 21. Jahrhunderts - eben als Humboldtforum. Auf diese Weise kann man Objekte aus einem globalen Kontext neu in einen globalen Kontext stellen, aber aus der Geisteshaltung unseres Jahrhunderts. Die Frage ist nicht mehr, aus welcher Zeit, von welchem Ort.

Bitte geben sie ein Beispiel für diese Form der Neustrukturierung!

Stellen Sie sich vor, im Humboldtforum sind die Weltkulturen nicht mehr geografisch getrennt ausgestellt, sondern im Dialog. Ein Eskimo, ein Asiate, ein Araber, ein Amerikaner oder Indianer, ein Europäer direkt in einer Vitrine nebeneinander, aus einer Zeit. Was für eine Szene entwickelt sich da! Man bekommt ein Gespür für Entwicklung der Kulturen einer Zeit. Das Weltbild kann bei diesem Anblick ein ganz neues werden.

Respekt vor anderen Kulturen und Wertschätzung, Dialogbereitschaft und nicht distanzierte Betrachtung – das wäre für mich das Humboldtforum gewesen.

Und eine solche Veränderung zur Neustrukturierung konnten Sie von außen nicht beeinflussen?

Nein leider eben nicht. Nur wenn das Bewusstsein für Veränderung von innen bereits vorhanden ist, können Sie Veränderung von außen gestalten. Und das war im Projekt Humboldtforum zu meiner Zeit eben nicht der Fall. Und ich nehme an, auch heute nicht.

Werden Museen ihre Rolle in der Gesellschaft weiter ausbauen können?

Natürlich, aber nur mit neuen Aufgaben und einem neuen Selbstverständnis.

Museen sind und bleiben Archive der Zeitgeschichte. Kaufhäuser haben allerdings eine viel höhere Anziehungskraft, auch wenn sie Dinge anbieten, die nicht für jedermann zu kaufen sind.

Museen müssen den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen.

Dann kann es gelingen, dass Museen auch im 21. Jahrhundert für die Gesellschaft weiter eine Rolle spielen. Die Verbindung zwischen Menschen und Museen entsteht durch Nutzen. Also nur wenn etwas nutzbar ist, ist es für Menschen relevant. Und diese Vorstellung von Nutzen hat sich seit dem 19. Jahrhundert bis heute doch massiv verändert. Nicht darauf zu reagieren und einzugehen bedeutet Stilstand.

Aber noch immer ist in der ganzen Welt ein Museumsboom von Neubauten zu verzeichnen?

Ja sicher. Aber bauen alleine genügt nicht. Es sind im vergangenen Jahr zwei Bücher zum Thema erschienen, die zusammen betrachtet diese historische Entwicklung des Neubauens wunderbar aufzeigen: Das Buch zum 40. Jahrestag der Eröffnung des Centre Pompidou von Francesco Dal Co. Das Buch erzählt vom Making of. Und schnell wird klar: Es bleibt das Museum des 20. Jahrhunderts und wird die gleiche Rolle im 21. Jahrhundert behaupten.

Das Buch NEW MUSEUMS zeigt genau das Gegenteil. Es ist im Hirmer Verlag erschienen. Als ich das Buch durchblätterte, wurde mir nochmals bewusst, dass unsere Entscheidung, Museumsplanung.com nach 20 Jahren zu beenden, die einzig richtige war. Es braucht in diesem Jahrhundert eine substanzielle und gewaltige Veränderung dieser zunächst privaten Sammlungsleidenschaft von Fürsten und Königen des 18. Jahrhunderts, dieses politisch oder fachlich gesteuerten Museums fürs Volk aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Was macht das Buch da sichtbar?

Umso weiter man im letztgenannten Buch nach hinten blättert, umso absurder werden die Entwürfe für Museumsbauten. Wenn Architektur allein versucht, dem Museum ein neues Selbstbild zu verleihen und von Innen keine adäquaten Inhalte folgen, sondern nur Lehre die Hülle füllt, oder wenn gar tradierte Galerieformen des 19. Jahrhunderts mit den gewaltigen organischen Formen außen nicht zu Einklang finden, dann ist da eine reizvolle Bauaufgabe gegeben, mehr nicht.

Ein Museum ohne Identität, kann seine Form nicht finden. Architektur allein kann diese Aufgabe nicht lösen.

Ist Ihre Erfahrung hier nicht notwendig und richtig am Platz?

Möglicherweise ja, möglicher Weise nein. Eher nicht. Identität muss man entwickeln. Wenn etwa ein Unternehmen in die Situation gelangt, sich verändern zu müssen, sich dem Markt und der Zeit anzupassen, kann dieser Prozess nicht von außen gelenkt und gesteuert werden. Da brauch es eine unternehmerische starke Führung, und dann gelingt es.

Museen und Ausstellungshäuser, die an Unternehmen gebunden sind, sind zur Zeit die Erfolgreichen. Sie ziehen Menschen magisch an. Corporate Collections oder Museen, das sind aus jetziger Sicht die Champions unter den Museen. Sie sind auf die Kommunikation mit Menschen ausgerichtet, wollen gesehen werden. Hier liegt die Zukunft!

Machen Sie ein Beispiel

Etwa die Kunsthalle der Deutschen Bank in Berlin. Die Ausstellungshäuser der Pinault Collection in Venedig, Prada Foundation und andere mehr, die erst im letzten Jahrzehnt entstanden sind.

Sie haben sehr früh die Lücke erkannt, und eigene Angebot für die Öffentlichkeit geschaffen. Mit Bravur.

Ein Phänomen dieses Jahrhunderts?

Nein keineswegs. Schauen sie sich die großen Museen in New York an, sie sind bis heute Publikumsmagneten. Ihr Ursprung liegt im Mäzenatentum, das nachhaltig ausgerichtet ist.

Also sind private Museen das Erfolgskonzept des 21. Jahrhundert?

Ich denke ja. Das Museum in eine politische Verwaltung zu übereignen war ein Fehler, den es zu revidieren gilt. Nur aus Leidenschaft kann etwas Großes entstehen, etwas, das sich ständig erneuert, das ständig nach Erneuerung und Erweiterung drängt.

Ein schönes Beispiel ist auch das Palais de Tokyo in Paris, Es finanziert sich ausschließlich über Mäzene und bereichert Paris mit unglaublich spannenden Ausstellungen. Oder das Guggenheim in Venedig – Immer bis zum Rand voll, obwohl die wechselnden Ausstellungen eher klein sind, aber raffiniert. So raffiniert, dass auf kleinster Fläche, manchmal nicht mehr als zwei Zimmer umfassend, um ein großes Thema zu Picasso zu gestalten.

Was ist also Ihre finale Empfehlung für Museen, die das 21. Jahrhundert überdauern wollen?

Museen müssen sich so schnell wie möglich aus dem ruhenden Zustand in den Prozess der Veränderung begeben, Brüche begehen und radikale Erneuerung zum Ziel setzen, kompromisslos.

Wie geht es mit Museumsplanung weiter? Werden Sie die gesamte Erfahrung aus 20 Jahren über Bord werfen?

Wir richten unseren Fokus jetzt auf die Erneuerung, die der Gebäudetyp und das Museum dringend brauchen. Diesem Thema widmen wir uns in MSAO RESEARCH und nehmen den Gebäudetyp Museum so unter die Think-Tank-Lupe. Ergebnisse stellen wir zum geeigneten Zeitpunkt der Öffentlichkeit vor.